Vibroakustische Metamaterialien

Struktur eines vibroaktustischen Metamerials
© Ursula Raapke
Vibroakustische Metamaterialien sind Systeme, mit denen man Schwingungen in Systemen effektiv dämpfen kann.

Neben seinen vielen Vorteilen besitzt der Leichtbau ein echtes Manko. Denn während alles, was viel Masse besitzt, kaum vibriert, bedeutet geringes Gewicht umgekehrt: häufig starke Schwingungsbereitschaft und hohe Schallabstrahlung. Um etwa eine Autofahrt so geräuscharm wie möglich zu gestalten, werden die oft nur aus dünnen Blechen bestehenden Autotüren in der Regel mit speziellen Schallschutzmatten gedämmt – verständlich aus Sicht der Akustikdesigner, aber problematisch für die Ziele des Leichtbaus.

Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF will auch dieses Hindernis auf dem Weg zur neuen Leichtigkeit beseitigen: Vibroakustische Metamaterialien könnten den Konflikt zwischen Massenverlust und Lärmschutz befrieden. »Metamaterialien sind künstlich hergestellte Werkstoffe mit Eigenschaften, die es so in der Natur nicht gibt«, erklärt Heiko Atzrodt, Forscher am Fraunhofer LBF. Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen dem Material und seiner besonderen Struktur können sie beispielsweise Lichtwellen beeinflussen und so um ein Objekt herumleiten, dass dieses nicht mehr zu sehen ist. Gut möglich also, dass Harry Potters Tarnumhang aus Metamaterial besteht.

Die Forschenden am Fraunhofer LBF haben indes im Fraunhofer- internen PREPARE-Projekt MetaVib ein Metamaterial entwickelt, das vibroakustische Fähigkeiten besitzt. »Wir generieren Mikrostruktur-Elemente, die in das Ursprungsmaterial integriert werden und so in gewissen Frequenzbereichen eine virtuelle negative Masse erzeugen«, erläutert Projektleiter Atzrodt. »Denn dort, wo keine virtuelle Masse existiert, können auch keine Vibrationen entstehen oder Schallwellen sich ausbreiten.« Die eingebrachten Resonatoren entfalten ihre reduzierende Wirkung, wenn sie so angeordnet werden, dass die Abstände zueinander kleiner sind als die halbe Wellenlänge der Luftschwingung, die sie reduzieren sollen. Nur dann erzeugen sie sogenannte Stopp-Bänder in der Schallübertragung, stoppen also die Ausbreitung der Luftschallwellen, überführen sie in Körperschallwellen und absorbieren diese schließlich.

Eines der ersten Projekte mit vibroakustischen Metamaterialien (VAMM) war »Silent Running«: Ziel war, eine Technologie zu entwickeln, mit deren Hilfe sich Mikroschwingungen von Raketenkomponenten minimierten lassen. Denn in der Raumfahrt kommt es nicht nur auf Gewichtsminimierung an, sondern auch darauf, dass möglichst wenig Vibrationen entstehen, um die Messungen mit optischen Instrumenten an Bord nicht zu beeinflussen. Die VAMM-Technologie wurde im Juli 2023 als »beste eingereichte Idee einer Forschungseinrichtung seit Beginn des INNOSpace Masters« ausgezeichnet – ein von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR initiierter Wettbewerb, der Innovationen in der Raumfahrt kürt.

Vibroakustische Metamaterialien haben den Vorteil, dass sie nicht auf bestimmte Werkstoffe limitiert sind. »Holz, Kautschuk, Reststoffe, Rezyklate – alles ist möglich«, erklärt Heiko Atzrodt. »Dadurch können gezielt Materialien zum Einsatz kommen, die nicht nur das Gewicht des Produkts, sondern auch dessen CO2-Fußabdruck verringern.« Im Projekt MetaVib wurde nicht nur die Funktionsfähigkeit des Metamaterials als Schalldämpfung in der Autotür nachgewiesen, sondern auch VAMM in unterschiedlichen Formen und mit individuell anpassbaren Funktionen entwickelt. Atzrodt: »Inzwischen haben wir Standardkataloge, die eine Variation von Resonatoren und Werkstoffen auflisten und damit den Entwicklungsaufwand für den Einzelfall verringern.«

In einem neuen Projekt setzt das Fraunhofer LBF die Innovationstechnologie nun gemeinsam mit der österreichischen ASFINAG in Lärmschutzwänden aus Glas um, mit deren Hilfe der Schall um bis zu 20 Dezibel gesenkt werden soll. Bereits eine Senkung um sechs Dezibel bedeutet für das menschliche Ohr eine Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke. Die VAMM-Wände sollen demnächst auf ausgewählten Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich erprobt werden.